Erlebst du dich oft einsam, trotz vieler »sozialer Kontakte« übers Netzwerk?
Die Digitalisierung und insbesondere die sozialen Netzwerke verändern unsere Beziehungslandschaft auf dramatische Weise. Innere Leere und eine neue Form der Einsamkeit sind oft der Preis. Gibt es einen heilsamen Umgang mit der neuen Technik?
Irgendwo in Amerika – ich sitze bei McDonalds und beobachte ein Szenario am Nachbartisch, das mich verstört. Was ich da sehe, lässt eher vermuten, dass ich in einem Science-Fiktion-Thriller gelandet bin. Da sitzt eine Mutter mit drei Kindern im Alter von geschätzten fünf bis zwölf Jahren, um gemeinsam Mittag zu essen. Doch halt stopp – gemeinsam? Wo normalerweise das Essen steht, stehen hier vier XXL-Tablets der Marke Apple. Mutter wie Kinder tragen einen Kopfhörer, der sie mit der digitalen Welt verkabelt.
Burger, Fritten, Cola gesellen sich, wie zufällig, daneben und werden geistesabwesend nebenbei vertilgt. Jeder scheint mit seiner vollen Aufmerksamkeit in der digitalen Welt verschwunden. Sie alle sind im Kontakt – nur nicht miteinander. »Was machen die da?« frage ich mich. Da niemand von mir Notiz nimmt, kann ich in Ruhe schauen, womit sich jeder beschäftigt: Mama hört Musik und checkt nebenbei ihre E-Mails. Einer der Sprösslinge ist auf Facebook unterwegs und schaut sich Videos an. Die zwei anderen schießen sich wild durch digitale Landschaften, die von gruseligen Monstern bevölkert sind.
»Ah ja«, denke ich mir, die Kids arbeiten wahrscheinlich an ihrem Heldenstatus.« Kommunikation untereinander? Null. Dass ich sie aus allen Richtungen ganz ungeniert fotografiere (das muss ich zu Hause meiner Familie zeigen, sonst glaubt‘s keiner!) bleibt unbemerkt. Zu sehr sind sie in ihrer Parallelwelt gefangen.
»Hey Leute, ihr verpasst rein gar nichts.«
Szenenwechsel. Zurück in einer deutschen Unistadt. Vier junge Studentinnen sitzen neben mir in einem Café und feiern ihren bestandenen Bachelor. Jede von ihnen hat ihr Smartphone in der Hand und kommuniziert auf zwei Ebenen. Flink gleiten ihre Finger über die Displays, während sie immer mal wieder kurz aufschauen, um ein Gespräch in Gang zu halten, dass scheinbar wenig inspirierend ist. Da werden lieber Selfies gemacht, gegenseitig ausgetauscht und weiterverschickt. Fasziniert beobachte ich die Szenerie und fantasiere, wie viele Menschen jetzt wohl per WhatsApp mitfeiern und vielleicht sogar enttäuscht sind, nicht live dabei zu sein. Wie gerne würde ich ihnen durch den Äther zurufen: »Hey Leute, ihr verpasst rein gar nichts. Es ist stinklangweilig hier, kein Swing, kein gemeinsamer Space, keine gemeinsame Freude. Alles nur perfekt für euch inszeniert!«
Als die vier sich voneinander verabschieden, ziehe ich für mich Bilanz: Die Mädels waren mehr mit ihren Smartphones beschäftigt als im Kontakt miteinander. Gern hätte ich sie gefragt, ob ihre Zusammenkunft für sie lebensbereichernd war. Gern hätte ich gewusst, ob sie etwas Persönliches voneinander überhaupt interessiert. Ich werde es nie erfahren.
Seine Mutter scheint verschluckt von den unendlichen Weiten des digitalen Wunderlandes.
Neulich, auf meinem Spaziergang, freute ich mich über das kleine Kind, das im Kinderwagen saß und vor Begeisterung quietschte. Es hatte einen Vogel entdeckt. Händeringend wollte es die Neuentdeckung der Mama mitteilen. Diese schob jedoch teilnahmslos mit der einen Hand den Kinderwagen, während sie geschickt mit der anderen ihr Smartphone bediente. Das lauthals Quietschen und Hände ringen war vergebens. Mama war vollkommen von ihrem Handy absorbiert.
Da kam der nächste Vogel geflogen. Zufrieden registrierte ich, dass die Freude des Kindes ungetrübt blieb. Jede Krähe wurde freudig lachend und jauchzend begrüßt. Grenzenloses können wir staunen über das Wunder des Lebens, das sich hier draußen leise und unaufdringlich dem, der es noch wahrnehmen kann, in seiner ganzen Vielfalt offenbart. Das Kind ahnt noch nichts von der anderen, der digitalen Welt. Es ist mit offenem Herzen und strahlenden Augen im Hier und Jetzt unterwegs. Seine Mutter hingegen scheint nur noch körperlich anwesend zu sein. Verschluckt von den unendlichen Weiten des digitalen Wunderlandes.
Haben Smartphones und Co. sich, wie ein schleichendes Gift, in jeden Bereich unseres menschlichen Miteinanders gestohlen?
In einer Dokumentation über Social Media erfahre ich, dass Kinder und Jugendliche im Durchschnitt fünf Stunden ihres Tages in sozialen Netzwerken verbringen. Diese Nachricht hat mich so hellhörig gemacht, dass ich bei meinen Mitmenschen nachfrage. Von Jung und Alt will ich wissen, wie viele Freunde sie haben, wie oft sie ihnen persönlich begegnen und wie oft über soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram, WhatsApp und Co.
Das Ergebnis ist niederschmetternd. Gerade junge Menschen berichten mir, dass sie mit anderen Menschen mehr Kontakt über soziale Netzwerke haben, als direkt, physisch. Und ich höre, dass durch den kurzen Kommunikationsweg die Verbindlichkeiten von Verabredungen immer beliebiger werden. Leicht werden Termine, auf die sie sich gefreut haben, kurzfristig abgesagt. Vorzugsweise per WhatsApp. Das erspart die Konfrontation mit Trauer und Enttäuschung des Gegenübers.
Ob Mark Zuckerberg das im Sinn hatte, als er Facebook ins Leben rief? Wahrscheinlich nicht. Ich glaube, mit den sozialen Netzwerken ist das so ähnlich wie mit dem Fernsehen: Wir können es uns zunutze machen, indem wir uns damit bilden. Tausend Dokumentationen verschiedener Couleur flimmern Tag für Tag über den Bildschirm und können damit eine effektive Quelle für unsere Allgemeinbildung sein. Daneben laufen unzählige hirnbefreite Seifenopern, Serien, Beautyshows und Co., die eher Teilhabe an der Volksverdummung sind als eine Quelle der Bildung und Inspiration.
»Warum Schauspielern beim Leben zuschauen, wenn du selber leben kannst?«
Ein indischer Weiser sagte einmal, ganz klug. »Warum Schauspielern beim Leben zuschauen, wenn du selber leben kannst?« Planschen wir lieber im See unserer Trägheit als ins hellbunte Leben zu springen? Surfen wir lieber in den unendlichen Weiten des Internets von einer geistlosen Ablenkung zur anderen, als mit Freuden das Abenteuer des Lebens zu entdecken? Ich denke, dass die Digitalisierung in so rasanten Tempo Einzug in unsere Zeit gehalten hat, dass wir kaum noch hinterherkommen. Wie alles sensationell Neues hat auch das eine ungeheurere Faszination.
Munter probieren wir aus, was uns neuste Technologie an die Hand gibt, ohne nach dem Sinn und den Folgen zu fragen. Hätten wir ähnlich einem Medikament einen Beipackzettel, auf dem die gesunde Dosierung steht und gleichzeitig die Nebenwirkungen und Gefahren, wir würden sicher kritischer schauen und bedachter handeln.
Wie könnte solch eine Gebrauchsanweisung aussehen?
Wie könnte eine Gebrauchsanweisung fürs Smartphone aussehen?
Vielleicht so:
Liebe Mitmenschen,
mit den Smartphones habt ihr ein mächtiges Werkzeug an der Hand, dass euer Leben auf großartige Weise bereichern kann. Gleichzeitig gibt es dabei ein nicht zu unterschätzendes Suchtpotenzial, das bei unsachgemäßer Anwendung zu Schlafstörungen, Burnout, innerer Leere und Einsamkeit führen kann. Daher empfiehlt der Hersteller, die Zeit von ein bis zwei Stunden täglich nicht zu überschreiten.
Hier einige hilfreiche Tipps zum Umgang mit der digitalen Welt:
- Lege eine Zeit X fest, in der du im Netz unterwegs bist.
- Ist die Zeit abgelaufen, schalte deine Geräte aus oder lege sie weg.
- Wenn du mit Freunden zusammensitzt, vereinbare: Handys weg!
- Lass dein Smartphone hin und wieder zu Hause liegen. So kannst
du die Erfahrung machen, dass sich die Welt auch ohne Handy
weiterdreht. Vielleicht stellt sich dabei eine neue Form der Ruhe und
Entspannung ein. - Schalte dein Handy nachts aus!
- Mache es dir zur Angewohnheit, nicht jede eintrudelnde Mitteilung sofort
zu beantworten. - Und die wichtigste Empfehlung: Kläre Beziehungsthemen NIE
per WhatsApp oder E-Mail, sondern immer im persönlichen Kontakt.
Geschriebenes führt häufig zu Fehlinterpretationen und ist oft der
Nährboden für Missverständnisse und Streit.
Entwicklung und Fortschritt lassen sich nicht aufhalten.
Wir können die digitale Revolution nicht aufhalten. Ganz im Gegenteil: Die Wissenschaftler des Silicon Valley, der bedeutendsten Ideenschmiede der Welt, basteln mit Hochdruck an neuen Visionen und schaffen Möglichkeiten der Superlative. Allen voran die Biotechnologen, KI-Forscher und Neurowissenschaftler. Sie werden es sein, die unsere Welt in den kommenden Jahrzehnten in atemberaubender Weise verändern werden. Viele Menschen sind von den neuen Werkzeugen fasziniert. Anderen machen sie Angst. Sie wünschen sich eine Abkehr hin zu Altem, Vertrautem. Doch wenn wir in der Geschichte zurückschauen, erkennen wir, dass Entwicklung und Fortschritt sich nicht aufhalten lassen.
Wissenschaft hat immer getan, was sie kann. Meist war es nur eine Frage der Zeit, bis etwas, das möglich war, auch realisiert wurde. So ist der einzelne Mensch aufgefordert, sich zu fragen: »Wie will ich leben?« Und: »Will ich, was ich könnte?«
Die Fragen: »Was ist für mich ein gut gelebtes Leben?« und »Was macht mich wirklich glücklich?« stellen sich angesichts digitaler Möglichkeiten noch einmal ganz neu.
Digitale Sucht ist die Krankheit unseres Jahrhunderts. Stress und innere Leere sind ihr Symptom, Detox und Achtsamkeit ihre Medizin.
In diesem Sinne: Sei achtsam!
In herzlicher Verbundenheit
Pea
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